ABT. HUMANES ZEITSCHRIFTENSTERBEN
»Todespille für
MAD«
TITANIC-Gespräch mit Herbert Feuerstein über
Don Martins Finger und den Gelben Sack
TITANIC: Schießen Sie los.
Feuerstein: Meine erste Ausgabe war die Nummer 33. Und dann habe
ich MAD nahtlos zwanzig Jahre lang als Chefredakteur gemacht. Als ich anfing,
hatte das Blatt eine Auflage von ungefähr 15.000 Exemplaren. Vorher war ich
Verlagsleiter beim Bärmeier & Nikel Verlag.
TITANIC: Wie sah die MAD-Redaktion aus?
Feuerstein: Die gab es nicht. Ich habe alles allein zu Hause
gemacht. Zusätzlich hatte ich noch freie Mitarbeiter. Aber ich habe MAD so
sehr geliebt, daß ich es mir nie leicht gemacht habe. Von Anfang an hatte
ich Lust, das zu machen. Etwa zwei Jahre lief MAD nebenbei, dann wurde es mein
Hauptberuf.
TITANIC: Was war der Unterschied zwischen dem amerikanischen und
dem frühen deutschen MAD?
Feuerstein: Die Deutschen nahmen zunächst nur das, was leicht
transferierbar war, Don Martin oder Spion & Spion zum Beispiel. Alles, was
sprachlich komplizierter war, wurde weggelassen. Als das erste deutsche MAD
erschien, gab es ja bereits rund 150 amerikanische Ausgaben, aus denen konnte
man sich bedienen. Damals konnte man in ein oder zwei Tagen ein ganzes MAD-Heft
zusammenstellen.
TITANIC: Und als Sie kamen ...?
Feuerstein: So habe ich es anfangs auch gemacht. Wir haben aus
Amerika die Lithos bekommen und im Billigstverfahren die Texte ausgetauscht. Da
wurde nichts umgezeichnet, da wurden keine Lautworte geändert. Da blieb ein
»CRASH« so, wie es war.
TITANIC: Das haben Sie aber bald geändert.
Feuerstein: Ja. Meine MAD-Grabinschrift soll verkünden, daß
ich bestimmte Teenager Onomatopöien erfunden habe wie »lechz, hechel, ächz,
würg«. Mitte der Siebziger experimentierte ich damit, und ich hab'
dann den Stil schnell gefunden. Ich hatte mir das Ziel gesetzt, aus MAD so weit
wie möglich eine deutsche Zeitung zu machen. Ich holte deutsche Autoren ins
Blatt, aber selber geschrieben habe ich nie. Ich war reiner Blattmacher.
TITANIC: Und die Antworten in der Leserbrief-Rubrik?
Feuerstein: Die stammten von mir, die gab es in dieser Art in
Amerika nicht. Ich habe mir für die immer viel Zeit genommen. Wir erhielten
zwei- bis dreihundert Zuschriften pro Ausgabe, da konnte man viele Anregungen
finden. Wir haben den »Alfred des Monats« erfunden und vergeben. Außerdem
gab's diese Departmentgeschichte, diese Abteilungen für irgend etwas als
Dachzeile. Die kam zwar von den Amis, aber ich hab's kultiviert. Ich besaß
eine Riesenkartei, weil ich den Ehrgeiz hatte, keine Abteilung zweimal vorkommen
zu lassen. Wenn ich die Überschriften im heutigen MAD sehe, dann ist das
alles recht traurig und einfallslos.
TITANIC: Waren die Titelbilder auch amerikanische Originale?
Feuerstein: Nein, bis auf wenige Ausnahmen. Ich habe immer auf
den klassischen MAD-Stil gesetzt, der sich in der besten Zeit des amerikanischen
MAD, zwischen 1972 und 1975, durchgesetzt hatte. Später sind die Amis dazu übergegangen,
sich an die Tagespolitik dranzuhängen, und damit haben sie verschiedene
Zeichner betraut. Ich habe mich dagegen immer an dem klassischen Stil von Joe
Orlando orientiert, der 1985 starb. In Deutschland hatten wir den genialen Rolf
Trautmann, ein Wahnsinniger, der diesen Stil nachahmen konnte. Der hat bei mir
alle Titelbilder gemacht. Wenn ich dagegen das Titelbild der letzten deutschen
MAD-Ausgabe sehe, packt mich der absolute Horror.
TITANIC: MAD wurde vom Ami-Nachdruck zum deutschen Original.
Feuerstein: Das war mein ganzer Stolz, daß die Kids
dachten, MAD sei eine deutsche Zeitschrift. Die haben Briefe geschrieben, wenn
sie in Amerika gewesen waren, daß die dort alles abgekupfert hätten.
Zum Beweis schickten sie Ausgaben des amerikanischen MAD. In der besten Zeit
hatte das deutsche MAD mehr Auflage als alle anderen Ausland-MADs zusammen.
TITANIC: Hatten Sie mit einer solch hohen Auflage gerechnet?
Feuerstein: Nein! Einer der wenigen genialen Einfälle
meines Lebens war aber, daß ich mit Klaus Recht einen Vertrag auf
Umsatzbeteiligung gemacht habe. Das hat sich ausgezahlt. Ich habe die ganze Zeit
nur gelacht, das war toll.
TITANIC: Wenn Sie soviel zu lachen hatten, warum hörten Sie dann
mit MAD auf?
Feuerstein: Wegen meiner Fernsehprojekte. Das neben »Schmidteinander«
zu machen, wäre nicht mehr gegangen.
TITANIC: Klaus Recht machte dann allein weiter?
Feuerstein: Er war eigentlich ganz froh, daß ich 1992
gegangen bin, denn er hätte sich mich nicht mehr lange leisten können.
Die Auflage war ja schon lange im Sinkflug.
TITANIC: Und heute ist MAD pleite. Können Sie uns das erklären?
Vielleicht anhand der letzten Ausgabe?
Feuerstein: Wenn ich das Heft so betrachte, ist mir das alles nicht
dicht genug. Und hier, dieser Beitrag - das darf nicht wahr sein! Der ist
vierzig Jahre alt: »Die klassische Mausefalle«. Die haben wir
mindestens viermal gebracht, zum ersten Mal 1972! Starkes Stück!
TITANIC: MAD starb also an Witzversagen?
Feuerstein: In erster Linie das amerikanische MAD. Zunächst
haben die Amerikaner diesen wertfreien, aggressiven Humor, der mir sehr lieb
ist, weil er ohne Zeigefinger auskommt, zugunsten eines tagespolitischen Humors
aufgegeben. Vieles wurde redundant. Immer wieder Fernsehparodien und so etwas.
MAD wurde zu sanft. Wenn ich heute amerikanischer MAD-Redakteur wäre, würde
ich eher zur Beavis-und-Butthead-Kultur tendieren. Und dann die Zeichner! Die
Serie Spion & Spion wird längst nachgezeichnet. Der Original-Zeichner
soll wahnsinnig geworden sein.
TITANIC: So wie Don Martin?
Feuerstein: Ich habe gehört, daß Don Martin Gicht
bekommen hat und jetzt die selben Finger und Füße hat wie seine
Figuren, also alles um 90 Grad abgewinkelt. Als Don Martin MAD verließ,
war für mich das Blatt praktisch schon am Ende, das war der eigentliche
Bruch. MAD wurde einfach alt. Wir haben schon vor fünf Jahren gesagt:
Hoffen wir, daß das amerikanische MAD noch ein Jahr hält.
TITANIC: Trotzdem haben Sie noch sechs Jahre weitergemacht.
Feuerstein: Ja, aber ich hatte zum Schluß eine große
Lustkrise. Ich konnte mit dem amerikanischen Material immer weniger anfangen.
Aber wir konnten uns ja immer noch aus alten Vorräten bedienen. Don Martin
haben wir zum Beispiel noch vier Jahre über seinen Weggang hinaus
ausgeschlachtet. Eigentlich war ja MAD nichts anderes als der Vorläufer vom
Gelben Sack. Die MAD-Extras waren das erste Stadium, die kamen zweimal im Jahr
und bestanden aus fünf Jahre altem Stoff. Die Super-MADs waren acht bis
zehn Jahre alter Stoff, aber thematisch geordnet. Im Mega-MAD war alles drin,
was es gab, das hatte 6.000 Seiten. Dann gab's noch den MAD-Müll und die
MAD-Sammelbände. Das waren unverkaufte Hefte, die zusammengebunden wurden.
Und MAD-Müll waren zusammengebundene Sammelbände. Dieses
Recycling-System hat das Ganze finanziert. Sonst hätte MAD, das ja
werbungsfrei sein mußte, finanziell überhaupt nicht funktioniert.
TITANIC: Wie war das Verhältnis zu Ihrem Verleger Klaus
Recht?
Feuerstein: Ich fand die Arbeit mit ihm toll, denn nur ein
reicher Verleger ist ein guter Verleger. Mit armen, krebsenden Verlegern kann
man nichts Solides machen. Natürlich - jetzt nach Rechts Tod können
wir ja offen darüber reden - gab es zwischen uns immer eine Haßliebe.
Ich habe ihn für seine Macht gehaßt, und er mich für meine für
ihn nie erreichbare Genialität. So muß das sein zwischen Verlegern
und Machern.
TITANIC: Kein stiller Triumph, daß MAD ohne Sie nicht mehr
lange existiert hat?
Feuerstein: Diese Buchhalter-Mentalität haben wir ja alle:
Wir hoffen, daß die Firma nach unserem Abschied nicht mehr läuft. Das
will ich auch für mich nicht unbedingt ausschließen. Aber ich hatte
ja meinen Triumph. In dem Moment, als ich MAD verließ, wurde es von
monatlicher auf zweimonatliche Erscheinungsweise umgestellt. Damals ist MAD für
mich persönlich gestorben. Natürlich tut es mir um das Heft leid, weil
es einmal sehr wichtig war, aber es hat sein Leben gelebt. Wir sind ja alle
Mitglieder der Gesellschaft für humanes Sterben von Zeitschriften. Ich
denke, man muß einfach die Todespillen für das Sterben von
Zeitschriften im Tresor liegen haben.
TITANIC: Und wie lautet Ihre Grabrede?
Feuerstein: Ich habe damals bei MAD mehr, besser und intensiver
gearbeitet als heute mit der ganzen Fernsehscheiße. Was ich gelernt habe
in der ganzen Zeit - ich bin ja jetzt kurz vor meinem Ende und kann das fast
testamentarisch verkünden -, ist, daß es überhaupt keinen Sinn
hat, sich zu bemühen, etwas besonders gut zu machen. Man muß das
machen, was man selbst für gut hält. Wenn man Glück hat, gibt's
dafür ein Publikum, das das akzeptiert. Wenn man Pech hat, ist man weg vom
Fenster. Das hat mir bei MAD zum Schluß auch nicht mehr gefallen, dieses
Spekulative, für so eine Zeitschrift bringt das nichts. Entweder sie hat
den Zeitgeist, oder es geht nicht mehr. Wir haben den mit MAD einfach verloren.
Mit Don Martin, mit vielen kleinen Dingen. Das muß man akzeptieren.
Die Gespräche mit
Herbert Feuerstein und Klaus Recht wurden von den Redakteuren Christian Schmidt,
Robert Gernhardt und Oliver Schmitt der Satirezeitschrift TITANIC für die
Oktoberausgabe 1995 von TITANIC geführt.
Die Veröffentlichung
dieser Gespräche und Fotos in DEUTSCHES MAD ONLINE erfolgt mit freundlicher
Genehmigung von TITANIC.